Europapolitiker Michael Link zum Konflikt in der Ukraine, zu Russlands Motiven und warum er Nord Stream 2 kritisch sieht
Redakteurin Annika Heffter (Heilbronner Stimme)
Mit jedem Tag häufen sich die Nachrichten über die angespannte Situation an der ukrainischen Grenze. Der Heilbronner Bundestagsabgeordnete Michael Link (59) ordnet die Geschehnisse aus seiner Sicht ein.
Herr Link, wie viel Sorge haben Sie, dass Russland in die Ukraine einmarschiert?
Michael Link: Putins Ziele sind klar: Schwächung der Ukraine und Wiederherstellung russischer Vormacht in Osteuropa. Weniger klar ist, ob er bereit ist, dafür einen folgenschweren Krieg zu beginnen. Deshalb ist aus westlicher Sicht jetzt eine Mischung aus Diplomatie und harten Konsequenzen so wichtig, ein Ansatz bei dem kein abschreckendes Mittel vorab ausgeschlossen werden darf. Mit einem Aufmarsch ohnegleichen pokert Putin extrem hoch. Darauf zu setzen, dass er blufft, wäre Wunschdenken. Er hat oft bewiesen, dass er brutal und eiskalt handelt, wenn die Kosten überschaubar sind, etwa in Syrien, in Georgien, auf der Krim. Es ist ihm sehr ernst damit, den Kurs der Ukraine Richtung EU zu stoppen und eine demokratisch prosperierende Ukraine zu verhindern. Zweifler wären gut beraten, jede Naivität bezüglich Putins Motiven zu überwinden.
Der Westen zeigt auf Russland als Aggressor, Russland auf die Nato. Und Altkanzler Schröder spricht von ukrainischem „Säbelrasseln“. Wer hat recht?
Link: Nicht ukrainische Soldaten stehen in Russland, sondern russische in der Ukraine, auf der Krim und im Donbass. Natürlich macht auch die Ukraine Fehler, sie steht unter beispiellosem Druck. Aber man darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Ursache ist die Weigerung Putins, das Ende der Sowjetunion und die Unabhängigkeit ihrer Nachfolger zu akzeptieren. Kooperation unter Nachbarn hätte aus dem postsowjetischen Raum ein Wachstumsmodell machen können. Die EU hat Russland in den 90er- und 00er-Jahren attraktive Kooperationsangebote gemacht. Stattdessen setzt die russische Führung weiter auf Beherrschung und Einschüchterung. Kein Wunder, dass die Ukraine, Georgien und die Republik Moldau die Aufnahme in die EU anstreben.
Der französische Präsident Emmanuel Macron will eine „neue Sicherheitsordnung“ in Europa. Hat die Nato in ihrer jetzigen Form ausgedient?
Link: Keinesfalls. Die Nato ist politisch und militärisch die entscheidende Klammer zwischen Europa und Nordamerika. Macron wirbt nicht für eine Abkoppelung von ihr, sondern für mehr Selbstbewusstsein in der EU. Recht hat er. Denn seit Trump wissen wir, wie schnell der wichtigste Alliierte unberechenbar werden kann.
Joe Biden hat versprochen, Nord Stream 2 werde nicht in Betrieb gehen, falls Russland einmarschiert. Hat er das Recht, darüber zu bestimmen?
Link: Natürlich haben die USA kein Recht, über Nord Stream 2 zu bestimmen. Genauso wenig wie Deutschland alleine, denn wir sind Teil der EU. Über diese Pipeline muss nach europäischem Recht entschieden werden. Schröder, Merkel und die Große Koalition haben einen kapitalen Fehler gemacht, als sie dieses für den russischen Staatshaushalt wichtige Prestigeprojekt Putins gegen den Willen der Balten, Mittelost- und Nordeuropäer durchsetzen wollten. Diese Pipeline kann Deutschland niemals so viel Energie liefern wie sie uns bereits an politischem Kapital bei unseren EU-Partnern gekostet hat. Denn unsere Nachbarn sind zurecht alarmiert, wenn Berlin einen Sonderweg über ihre Köpfe hinweg mit Moskau gehen will.
© Heilbronner Stimme GmbH & Co. KG